Vergangene Woche Dienstag standen wir um 4:30 auf, noch vor Sonnenaufgang, um bereits um 5:30 am Busbahnhof zu sein. Dort wollten wir noch einen Sitzplatz im 6-Uhr-Bus ergattern. Wie immer standen Männer auf, um uns Frauen und noch dazu „Chelas“ (Chele/Chela ist das nicaraguanische Wort für Menschen mit heller Hautfarbe) Plätze anzubieten. Leider fuhr der Bus doch erst um 7-Uhr los und so mussten wir uns noch knapp 1,5 Stunden Predigten und Reden anhören, die einige Personen noch vor der Abfahrt halten, um damit etwas Geld zu verdienen. Als der Bus endlich los fuhr, füllte er sich schnell und ich musste mir meine sowieso schon ungemütliche Sitzbank ohne Beinfreiheit mit drei weiteren Personen teilen, einem Mädchen und einer Mutter mit weinendem Kind. Der Bus war voll beladen, so dass wir bei der Brücke in Siuna alle aussteigen mussten um zu Fuß den Fluss zu überqueren.

Der Bus fuhr nur die Landstraße bis Santa Martha (und weiter nach Waspam), so dass wir dort um 9 Uhr ankamen und den restlichen Weg in die Comunidad Butku zu Fuß zurücklegen mussten. Auf dem dreistündigen Fußmarsch mit Gepäck, Essen und Trinken für fünf Tage knallte die Sonne und stiegen die Temperaturen ohne Gnade. Dafür war es ein schöner Weg und wir pausierten an einem der vielen Flüsse.

Wir kamen gegen 12 Uhr total durchgeschwitzt in Butku an und sprangen erst einmal in den Fluss und wuschen unsere Kleidung, auch wenn das Wetter bei Ankunft in Regen umschwengte. Wir trugen im Gegensatz zu den Menschen aus Buktu Bikinis, wodurch wir zur absoluten Attraktion wurden, wie immer. Denn viele Kinder haben noch nie helle Menschen gesehen und starren uns ungläubig an, noch dazu unsere Kleidung und die fremde Sprache. Es ist sehr anstrengend immer im Mittelpunkt zu stehen, sowohl in Puerto als auch in den Comunidades und vor allem im Bus.
Für 14 Uhr war die Mitgliederversammlung der Kooperative einberufen worden, in der über die aktuelle Situation der Kooperative sowie unseren Aufenthalt beraten werden sollte. Wir waren pünktlich, doch erst eineinhalb Stunden später begannen wir mit insgesamt vier Personen, zwei kamen im Laufe der Sitzung noch hinzu. Viele Menschen blieben aufgrund des Regens lieber Zuhause. Der Regen lässt das öffentliche Leben stillstehen, dabei regnet es ganze Neun Monate im Jahr (fast) täglich. Die Sitzung fand überwiegend in Mískito statt, so dass wir nur Schlagwörter verstanden. Nur die Ergebnisse wurden uns in (sehr) verkürzter Form ins spanische übersetzt. Das Ergebnis der Versammlung war, dass Julia und ich für den Mittwoch den 11.September einen ganztägigen Workshop abhalten werden, in dem es um die Zukunft der Kooperative gehen wird, wir also unsere bereits erarbeiteten Inhalte einbringen werden können. Im Anschluss werden wir Interviews mit Mitgliedern der Kooperative sowie traditionellen Dorf-Vorstehenden führen, um einen Bericht über die aktuelle Situation der Kooperative sowie die Grundlage für einen Strategieplan und eine Kommunikationsstrategie zu erstellen.
Den Abend verbrachten wir wie immer auf der Terrasse im stockdunklen, um die Sterne anzuschauen, die Glühwürmchen zu beobachten und zu quatschen. Die Menschen sitzen hier am Abend nicht gemeinsam vor dem Fernseher, sondern lauschen dem Radio und den (lauten) Geräuschen der Tiere in der Nacht. Die kommende Nacht wurde sehr unruhig und kurz. Die Dorfälteste und Gründerin Buktus lag im Sterben und alle Dorfbewohnenden pilgerten in der Nacht zu ihr, was die Hunde die ganze Nacht bellen ließ. Auch der Hahn hielt sich leider nicht nur an den Sonnenaufgang. Ein Holzhaus bietet da leider keinen Lärmschutz und die Schweine und Kühe unter dem aufgestelzten Haus gaben auch ihren Senf dazu. Um 4:30h standen wir wieder auf und wuschen uns bei Sonnenaufgang am Fluss.

Um 6 Uhr stiegen wir in den Bus nach Santa Martha, wo wir nach einer Stunde Rüttelfahrt ankamen und wir uns zum Warten auf den Anschlussbus nach Waspam auf eine Bank setzten. Wir wurden von einem 21-jährigen Nicaragüense angesprochen. Der junge Mann fiel uns gleich als viel aufgeschlossener als die bis jetzt kennengelernten Menschen auf. Er wuchs auf Corn Island auf, eine touristische Karibikinsel nähe Bluefields in der südlichen Autonomen Region, die überwiegend von Nachfahren der Sklaven bewohnt wird. Wir fragten ihn, was er auf der Bank machen würde, er sagte „nichts“… er habe einfach nichts zu tun und langweile sich hier. Eines stellen wir in Nicaragua immer wieder fest: Zeit ist das einzige was im Überfluss vorhanden ist. Auch in der Stadt sieht man ständig Menschen, die einfach stundenlang irgendwo sitzen und einfach nichts tun… nicht Radio hören, nicht reden und wir haben noch nie Jemanden lesen sehen. Zeitungen gibt es in Puerto nicht (nur mal ganz selten eine) und die zu kaufenden Bücher sind nur für die Schule oder Universität. Der nette junge Mann lud uns jedenfalls zu sich nach Hause ein. Während er sich an der Bushaltestelle gelangweilt hatte, hatte seine Frau sich um die zwei Kleinkinder und den Haushalt gekümmert. Typische Rollenverteilung hier: der Mann tut lieber nichts als der Frau bei „weiblichen“ Aufgaben zu helfen. Das junge Paar passt in Santa Martha auf das Haus der Mutter auf, die wie ihre anderen zwei Kinder auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet, dass unter anderem Corn Island (Isla del Maiz) anläuft. Leider kam der Bus kurz darauf und so konnte ich ihn nicht mehr fotografieren.
Um 7:30h stiegen wir in den Bus nach Waspam. Die Busfahrt war eine Folter, denn die Straße war sehr schlecht, die Sitze sehr sehr eng und ungemütlich und sie hörten bereits auf Schulterhöhe auf, so dass mir mehrmals vor Müdigkeit der Kopf weg knickte und ich mir dabei ordentlich den Nacken verspannte. Zudem saß ich über der undichten Radabdichtung, so dass mich bei jeder schlammigen Pfütze der Dreck ein saute. Zudem ist es eine Folter müde zu sein und nicht schlafen zu können. Nach der vierstündigen Fahrt waren wir geschunden von blauen Flecken, Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen und die Landschaft hatte auch nur aus langweiligen Pinienwäldern bestanden, die durch den Hurrikan Felix und die (illegale) Abholzung degradierten wurden. In Waspam jedoch wollten wir uns ein paar Tage erholen und mal etwas anderes sehen als Puerto Cabezas und die Comunidades.
Waspam liegt am Rio Coco, dem Grenzfluss zu Honduras. In der Region leben ebenfalls überwiegen Mískitos sowie vereinzelt Mayangas (Sumo). Die Menschen leben überwiegend von Bananen und Kokosnüssen, die sie vor allem über den Wasserweg transportieren. Zudem wollten wir unseren Mískito-Lehrer Marcos und seine Frau Ruby dort treffen. Sie hatten dort ein Haus und wollten gleichzeitig wie wir in Waspam sein. Bei unserer Ankuft konnten wir sie telefonisch jedoch nicht erreichen (im nachhinein erfuhren wir, dass sie es wegen ihrer Herzkranken Tochter nicht geschafft hatten), so dass wir zunächst in einen Comedor (Cafeteria) gingen und uns bei einem Kaffee von der Fahrt erholen wollten. Dort sprach uns Barrington an, er war während der Fahrt zu uns in den Bus gestiegen. Es stellte sich heraus, dass er zu der indigenen Gruppe der Mayangas gehörte und er bis vor kurzen und seitdem der 17 Jahre alt war ein Líder comunitario (ein Dorf-Vorstehender) von Awas-Tingni war. Wer sich einmal mit indigenen (Land-)Rechten beschäftigt hat wird den Fall von Awas-Tingni kennen (1995-2002), er wurde zum Präzedenzfall für indigene Landrechte. Denn Awas-Tingni hat zunächst vor dem nicaraguanischen Gericht und anschließend vor dem internationalen Gericht für Menschenreche und gegen die nicaraguanische Regierung gewonnen, gegen die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen durch ausländische Unternehmen. Der Gemeinde wurde zugesprochen, dass allein die Landnutzung durch eine indigene Gruppe ausreicht für einen Eigentumsanspruch (also Landtitel) und damit die volle Verfügung über die Nutzung der sich darauf befindenden Ressourcen. Hier erfahrt ihr mehr: http://www.g#bv.de/popup_druck.php?doctype=inhaltsDok&doci. Es war ein sehr spannendes Gespräch mit Barrington über indigene Landrechte und die Verteidigung von indigenen Territorien vor Colonos. Denn auch wenn Awas Tingni den Rechtsstreit gewann, sind auch sie betroffen von Colonos. Die Colonos, meistens Mestizen von der Pazifikküste und meistens geduldet von der Regierung, beuten illegal die natürlichen Ressourcen der Indigenen aus. Dies führt in vielen Comunidades, auch im Bloque SIPBAA zu Konflikten, auch bewaffneten. Die Situation spitzt sich zunehmen zu. Barrington lud uns nach Awas Tingni und zu einer Versammlung der beteiligten Akteure ein. Wr hoffen, dass wir es in unserer verbleibenden Zeit in Puerto Cabezas noch dorthin schaffen.
Anschließend zeigte er uns noch eine Auswahl an Hotels im kleinen Waspam (15.000 Einwohner), wir entschieden uns für das Hotel Coco direkt oberhalb des Flusses. Der Besitzer war ein halb-Deutscher. Sein Vater kam aus Auschwitz (von welcher Seite haben wir leider nicht mehr gefragt. Denn in Lateinamerika gibt es sowohl viele Flüchtlinge vor dem 2.Weltkriegs, als auch geflohene Nazis nach Kriegsende). Der Dueño zeigte uns ein wenig die Stadt und nahm uns mit zu seinem Bootsanleger. Wir schlenderten den ganzen Tag durch das kleine Städtchen und genossen es, dass es so ruhig war und keine gruseligen Menschen (wie in Puerto) herum geisterten sondern überwiegend nette und kommunikative Menschen.





Am frühen Abend setzten wir uns an den Flughafen in eine Bar. Der Flughafen, also eine naturbelassene Landebahn mit einem Ein-Raum-Flughafengebäude. Die Landebahn wird, außer für Flugzeuge, als Park genutzt. Dort tranken gemütlich Bier und entspannten anschließend auf der Terasse des Hotels. Um 9 fielen wir bereits müde ins Bett. Den nächsten Morgen versuchten wir aus zu schlafen, doch das Leben auf den Straßen ging bereits um 5 Uhr los. Dennoch standen wir erst gegen halb 8 auf, um mit Blick auf den Fluss (und Honduras) zu frühstücken.

Wir trödelten vor uns hin, das war ein Fehler.. Denn wir wollten gerne auf den Fluss und wie wir feststellen mussten, waren alle Boote nur in den frühen Morgenstunden gefahren, mit denen wir auch wieder hätten zurück nach Waspám hätten kommen können. So irrten wir rund 2 Stunden von einem zum anderen Bootsanleger und nahmen Schlussendlich ein (viel zu teures) Camioneta, also ein Jeep. Wir quetschten uns mit rund 11 anderen Passagieren, einem Hund, einigen Taschen und Säcken auf die Ladefläche und vervielfachten unsere blauen Flecken und Gliederschmerzen. Die halbstündige Strecke nach Leimus, eine kleine Comunidad ebenfalls am Rio Coco war aber ganz schön und ging unter anderem durch einen kleinen Fluss.

Leimus war, im Gegensatz zu unseren Vorstellungen, nur ein sehr kleines Nest. Das einzige was es hier gab war die Grenze nach Honduras. Wir hatten unsere Reisepässe jedoch aus Sicherheitsgründen im Hotel gelassen und konnten somit diese nicht passieren. Wir hatten auch Angst, dass wir vielleicht kein Visum mehr bekommen oder erst ein paar Tage später wieder einreisen konnten. Zudem ist auf der anderen Seite weit und breit keine Stadt, nur vereinzelte Finkas und dadurch gefährlich. Dennoch mussten wir einen Militärstütztpunkt passieren und die äußerst arroganten Militärs mussten sich mal wieder gegenüber uns Frauen und dann auch noch „Chelas“ aufspielen und wichtig tun und uns gründlichst untersuchen und alle Personalien aufnehmen. Nach rund 15 Minuten und gefühlten Stunden des Gaffens und „abchecken“ ließen sie uns zum Glück dann doch gehen.
In Leimus begegneten wir wieder vielen netten und interessierten Menschen, die uns über ihr Leben und die Mískitos erzählten und sich sehr freuten, dass wir bereits etwas Mískito sprechen. Leider gibt es von solchen netten Menschen keine in Puerto, wir begegneten ihnen jedenfalls noch nicht.

Eine gute Stunde später fuhren wir mit der letzten Camioneta wieder zurück nach Waspám. Da es wieder ein sehr heißer Tag gewesen war (und wir leicht verbrannte Haut hatten) stiegen wir kurz vor der Stadt bereits ab und sprangen mitsamt Kleidung in einen Fluss – es war eine tolle Abkühlung und mitsamt Kleidung waren wir auch nicht ganz so die Attraktion wie im Bikini.
Zum verspäteten Mittagessen gingen wir wieder in den Comedor. Da die Menschen hier viel Fleisch essen (außer in den Comunidades, dort ist es Mangelware), gibt es nur Gerichte mit Fleisch oder Fisch. Das Wort „vegetarisch“ kennen die Menschen nicht. Aber wir zwei Vegetarierinnen wollten sowieso mal den Fisch ausprobieren und das war eine sehr gut Idee – ich glaube es war der beste Fisch den ich je gegessen hab. Frittiert, mit frischen Limetten und mit gebackenen süßen Kochbananen natürlich.
Am Nachmittag wollten wir die Landebahn erkunden, die wieder von vielen Menschen und auch Tieren als Freifläche genutzt wurde. Doch just in dem Moment als wir dort lang spazierten kam eine kleine Propeller-Maschine angeflogen. Wir sprangen zum Gelächter der Anwohnenden erschrocken von der Landebahn, doch der sich darauf befindende LKW schien sich nicht gestört zu fühlen. Als sich das Flugzeug nur noch wenige Meter über dem Boden befand und der der LKW immer noch nicht die Landebahn freigemacht hatte, flog das Flugzeug wieder hoch und konnte erst im zweiten Landeanflug landen. Die Anwohnenden schienen es als etwas alltäglichen anzusehen. Wir kamen nicht mehr raus aus dem lachen. Total absurd!

Im Anschluss wollten wir wieder in unsere Flughafen-Bar gehen. Doch abermals mussten zwei Militärs uns damit belästigen, uns zu folgen und uns aus der Nähe eingehend zu betrachten. Anscheinend haben die Militärs in Nicaragua noch mehr als sowieso schon alle Männer einen Freischein zum glotzen und Frauen dumm anmachen… nervig! Auf dem Rückweg nach der Bar musste uns wieder ein Militär ansprechen, er hatte uns bereits am Tag zuvor in zivil angesprochen und dabei mmeeeeehrfach stolz betont, dass er Militär sei. Auch dieser wollte uns nur anmachen und begründete das immer wieder stolz damit, dass er ja Militär ist… meine Meinung zum Militär wird hier nicht besser…!
Den Abend verbrachten wir mit Bier und geröstetem Mais auf der Veranda des Hotels und hatten einen wunderbaren Ausblick auf den Fluss, der leider nur von den vielen Malaria-Mücken getrübt wurde. Wir wurden wirklich gut zerstochen in Waspám, zum Glück nehmen wir bereits die Malaria-Prophylaxe.

Am nächsten Morgen genossen wir zum letzten Mal das fließende Wasser der Dusche und Toilette und machten uns um 6:30h zum Bus auf, den wir fast verpassten, da er früher und woanders abfuhr als gedacht. Leider gibt es hier weder Buspläne, noch richtige Haltestellen oder sonstige Informationsquellen, die den wenigen Touristen Auskunft geben könnten. So sprangen wir zwischen zwei Stationen auf. Das Busteam begrüßte uns freudig, wir kannten die Männer nämlich bereits aus Puerto. Der Bus steht immer auf unserem Weg in die Stadt und der Gepäckjunge gefällt uns auch ganz gut 😉 Die Fahrt war zum Glück angenehmer als die Hinfahrt und da es wolkig und regnerisch war, zum Glück auch nicht zu heiß. Allerdings dauerte sie diesmal über 6 Stunden und wir waren wirklich froh als wir endlich aussteigen durften und nun bis kommenden Dienstag keine weitere Busfahrt antreten müssen.
