Als wir am Freitag aus Waspám wieder kamen, wartete viel Arbeit auf uns. Wir mussten den Workshop für den Mittwoch den 11.September vorbereiten. Inzwischen sind wir ja darin geübt, Workshops vorzubereiten, diesmal hoffentlich auch mit Erfolg. Samstag Abend ging Julia wieder mit Germán tanzen, da ich nicht das fünfte Rad am Wagen sein wollte verbrachte ich den Abend mit etwas Sport zuhause. Da Joggen und Radfahren und insgesamt draußen Sport leider nicht möglich ist (außer dass wir hier weite und viele Strecken zu Fuß zurücklegen), müssen wir uns mit Circuit im Haus zufrieden geben. Sonntag nutzten wir zudem die Sonne, um zum Strand zu laufen. Wir hatten nur unsere Bikinis und „Badebekleidung für drüber“ an und liefen mit leeren Taschen die 45 Minuten zu Strand. Dort waren wir dann zum ersten Mal richtig schwimmen. Das Wasser war fast Badewannen-warm und leider auch nicht ganz klar. Und ständig kamen Männer angeschwommen und am Strand zu uns, um uns anzupfeifen und anzumachen und natürlich anzuglotzen. Daher hielten wir uns meistens in der Nähe von anderen Frauen und Familien auf, bei denen wir auch unsere Schuhe deponierten. Ansonsten befinden sich nämlich überwiegend Fußball-spielende Jugendliche aus dem Barrio „Libertad“ am Strand. Der Stadtviertel ist einer der ärmsten und gefährlichsten der Stadt, dort leben viele Langustenfischer und Menschen, die in den Drogenhandel involviert sind. Zudem gibt es einen Bandenkrieg mit dem Barrio „19 de Julio“, das ebenfalls am Meer liegt. Dort gibt es Nachts auch häufig bewaffnete Konflikte. Ein Grund, weshalb wir den Strand nur am Sonntag besuchen, wenn auch Familien aus der ganzen Stadt sich dort aufhalten.
Sonntag begannen zudem bei mir Halsschmerzen und Kraftlosigkeit und am Montag wachte ich mit etwas Fieber auf. Aus Sicherheitsgründen fuhren wir in die Stadt zum Arzt. Dort wurde ich auch gewogen und ich wiege mit 50kg tatsächlich 4-5kg weniger als noch zu meiner Ankunft. Naja, war zu erwarten. Der Arzt diagnostizierte eine leichte Grippe und verschrieb mir Antibiotika, Anti-Grippe-Medikemnte, Schmerzmittel und Vitamine. Total übertrieben. Er scheint uns Europäerinnen immer gleich viel mehr verschreiben zu wollen als nötig, damit wir beruhigt sind. Da ich mich aber wirklich nicht nach Grippe, sondern einfach nur nach Erkältung und Bronchitis fühlte (die ich durch mein Asthma wirklich genau kenne und häufig habe), nahm ich weder Antibiotikum noch Schmerzmittel. Zudem verläuft die Bronchitis hier bei dem feucht-heißen Klima viel besser als in der trockenen Luft Deutschlands. Einmal in der Stadt schaute ich gleich bei der Post vorbei und tatsächlich waren meine Briefwahl-Unterlagen eingetroffen. Ich nahm die Unterlagen mit zum Arzt, um sie entspannt auszufüllen. Anschließend war die Post leider zu (wahrscheinlich ausgedehnte Mittagspause) und ich musste mich bis Dienstag gedulden um den Brief abzuschicken. Es verblieben weniger als zwei Wochen bis zur Wahl und die Frau auf dem Postamt meinte, der Brief könne bis zu 20 Tage unterwegs sein… Dennoch habe ich ihn abgeschickt, auch wenn meine Stimme eventuell nicht mehr zählen wird. So ein scheiß! Warum kann sich ein Land wie Deutschland im 21.Jahrhundert und im Zeitalter des Internets nicht ein System überlegen, in dem wirklich alle Deutschen die Möglichkeit haben zu wählen? Julias Brief aus Berlin ist noch nicht einmal eingetroffen. Dabei haben wir zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Briefwahlunterlagen eingefordert. Somit verlassen wir uns darauf, dass alle Freunde und Freundinnen in Deutschland ihre Stimme wahrnehmen und damit zu einem dringend notwendigen Regierungswechsel beitragen!!!
Am Dienstag fuhren wir dann wieder in die Comunidades, denn am Mittwoch fand der Workshop statt. Er lief zunächst gut, als wir mit den Teilnehmenden die umgesetzten Projekte und Vergangenheit der Kooperative auswerteten und die gegenwärtige Situation der Kooperative analysierten. Anschließend wollten wir im Hinblick auf eine Strategieplanung sowie eine Kommunikationsstrategie Zukunfts-Strategien und Handlungsmaßnahmen erarbeiten. Unsere Rolle sahen wir in der Moderation und Unterstützung. Die Experten der Themen sind die Mitglieder der Kooperative. Zudem wollten wir als „Weiße“ keine (post-)kolonialen Strukturen aufbauen oder stärken durch Bevormundung und eurozentrische Vorgehensweisen. Daher haben wir uns davor gehütet Vorschläge zu machen. Wir kennen nicht den komplexen Kontext und haben eine andere Perspektive auf die Thematiken. Doch die Mitglieder sahen uns genau als diese „Consulters“ an, die wir nicht darstellen wollen. Sie wollten von uns Lösungen für ihre Probleme hören, die wir ihnen nicht geben wollten oder konnten. Damit hörte der Workshop in einer komischen Stimmung auf. Und auch ein wirkliches Feedback bekamen wir nicht. Die Mitglieder einigten sich zunächst darauf, dass sie sich in einer Versammlung zunächst darüber klar werden müssen, welche Mitglieder eigentlich noch aktiv und und welche keine Motivation und kein Interesse an der Arbeit der Kooperative mehr haben, bevor sie sich über ihre Zukunft Gedanken machen können. Aus zeitlichen Gründen erreichten wir nicht mehr die weiteren Themen des Workshops. Frustriert und ohne eine Rückmeldung und ohne eine hilfreiche Unterstützung von Mateo ging der Tag zu ende.
Am Donnerstag am Vormittag gingen wir gemeinsam mit Mateo in das eine Stunde Fußweg entfernte Sangnilaya. Dort sollten wir ein Gespräch mit zwei Lehrern der örtlichen Grundschule führen und das ASA-Projekt der zwei weiteren Asat_Innen Sarah und Maxi vorbereiten, die Samstag in Puerto eintreffen werden.
Freitag den 13. nahmen wir wieder den 6-Uhr Bus zurück nach Puerto. Die Busfahrt begann damit, dass sich einige Männer in der Bank neben mir anfingen zu prügeln, soweit es mein „fließendes“ Mískito zuließ ging es um eine Tasche, Geld und die Polizei… Zum Glück beruhigte sich die Situation bald wieder. Zuhause angekommen stellte ich erschrocken fest, dass sowohl meine kleine DigiCam als auch mein Handy nicht mehr in meinem Handgepäck waren. Ich war mir sicher, dass es mir geklaut worden sein muss und ich die Sachen nicht wiederbekommen würde. Doch sicherheitshalber gingen wir Mittags wieder zum Bus, bevor er wieder zurück in die Comunidades fuhr. Ich fragte den Busfahrer und tatsächlich, der Gepäckjunge hatte die Sachen gefunden. Zum Dank schenkte ich ihm eine Kola, ich wusste nicht anders zu danken. Geld geben fand ich eine unangebrachte Geste. Merkwürdigerweise war das Handy voll aufgeladen und alle Nachrichten gelöscht sowie die Toneinstellungen geändert. Mein Telefonbuch war jedoch noch da… also hatte er anscheinend doch gehofft, dass niemand mehr nachfragt. Zudem trafen wir am Bus noch den Socio Paulo aus Butku, der im Workshop eine sehr kontroverse Meinung geäußert hatte und als Mestize in den Mískito-Comunidades häufig kein Gehör bekommt. Wir verabredeten uns mit ihm für die kommende Woche in Butku und zu einem Interview. Die Thematik des Rassismus in der Kooperative möchten wir näher beleuchten.
Am Mittag hatten wir zudem noch Mískito-Stunde und lernten endlich die Verben, nun können wir endlich ganze Sätze sprechen und kleine Unterhaltungen führen. Als ich zufällig nochmal bei der Post vorbei schaute war sogar ein Paket für mich angekommen von meinen Eltern, gefüllt mit T-Shirts, Mückenschutz und HARIBO. Ich freute mich sehr darüber. Am Abend gingen wir wieder zu Wachis und aßen die ganz wunderbare Pizza. Somit wurde aus dem zunächst Unglückstag doch noch ein sehr toller Tag.
Ab Samstag änderte sich für uns vieles. Zum einen waren das ganze Wochenende Unabhängigkeitsfeiern (14.-15.September), so dass alle Geschäfte (außer kleine Tiendas) geschlossen waren und überall Tanzgruppen auftraten. Es war jedoch mal wieder unspektakulärer als erhofft. Am Nachmittag holten wir Maxi und Sarah am Flughafen ab, die zwei werden ebenfalls ihr ASA-Projekt im Bloque SIPBAA absolvieren. Ursprünglich sollten von der Kooperative aus Umweltbildung betreiben. Doch aufgrund der aktuellen Lage der Kooperative ist ihr Projekt jetzt ausschließlich an die Grundschule angeschlossen, was sich schwieriger darstellt als erwartet. Jetzt zu viert wird der Raum im kleinen Haus zwar manchmal sehr eng, doch es eröffnen sich uns auch andere Möglichkeiten. Gleich am Abend zogen wir in die Stadt, da der nicaraguanische Reggaeton und Dancehall-Interpret „Mr. Vegas“ im Stadion im Barrio „La Libertad“ auftrat. Doch die 300 Cordoba (rund 10€, der Verdienst mehrerer Tage für die Menschen hier) war uns zu teuer, so setzten wir uns mit einem Bierchen davor und lauschten nur. Anfangs war es eine schöne Stimmung, denn viele junge Menschen hörten der Musik von draußen zu. Doch gegen halb 8 kippte die Stimmung, als eine Gruppe (vermutlich des Barrios „19 de Julio“) anfing mit Steinen zu werfen und eine chaotische Lage in der Menschengruppe auf dem Vorplatz entstand. Die Polizei schritt gewaltvoll ein und nahm von jeder Gruppe 3 Personen mit, die anderen tauchten in der Menge unter. Wir nutzten den Moment und fuhren mit dem Taxi nach Hause. Im Nachhinein erfuhren wir, dass es die richtige Entscheidung war, denn es wurden wohl noch einige Menschen beklaut, es kam zu Prügeleien mit Verletzten und Frauen wurden in der Gruppe sexuell belästigt. Der Drogenhandel, der den Bandenkrieg der beiden Stadtviertel motiviert, nimmt zunehmend Überhand in Puerto und zieht immer mehr Jugendliche in seine Fänge. Hoffen wir, dass es sich nicht wie entwickelt wie in den nördlicheren Ländern Mittelamerikas.
Am Dienstag fuhren wir gemeinsam in die Comunidades. Diesmal klappte die Busfahrt leider nicht wie sonst immer. Zuerst fuhr der Bus über eine Stunde nicht los, der Busfahrer war verschollen. Die Stunde nutzte eine Frau damit im Bus zu predigen, in Spanisch und Mískito. Es war unglaublich anstrengend ihr bei der Gehirnwäsche zuhören zu müssen und es war unerträglich heiß im Bus. Dann fuhr der Bus langsamer als sonst und musste wegen technischen Schwierigkeiten mehrmals halten, so dass wir im dunklen in Butku ankamen und die 20Minuten Fußweg durch den Wald mit Taschenlampen bestreiten mussten.
Am Mittwoch brachten wir Maxi und Sarah nach Sangnilaya, wo sie ihr Projekt absolvieren werden. Sie kamen beim Co-Direktor und Lehrer Cesar unter. Auch sie wurden vor die Situation gestellt, dass sie ihre Inhalte vorbringen sollen und ein Projekt durchführen sollen, ohne eine Zusammenarbeit der Lehrer und ohne eine Rückmeldung. Also auch sie werden in eine Rolle gedrückt, in der sie sich nicht sehen. Zudem gab es einen unschönen Vorfall direkt am ersten Abend. Cesar ist 29 und alleinstehend (sehr unüblich hier). Abends kam eine ehemalige Schülerin am Haus vorbei (geschätzt 15 oder 16), die er mit Drängen auf seine Veranda und in seine Hängematte beförderte. Maxi konnte beobachten, wie er sie gegen ihren Willen anfasste und bedrängte. Dieser Vorfall lässt die zwei gerade sehr an ihrem Projektaufenthalt zweifeln, da es hier schwierig ist solch eine Situation anzusprechen, vor allem wenn es ihr Gastgeber und auch ihr „Vorgesetzter“ ist. Momentan schauen sie, wie sie wenigstens einen anderen Unterschlupf finden können und wie sie es möglichst neutral Cesar mitteilen können. Derzeit schauen sie, wie sie ihren Aufenthalt doch noch realisieren können mit einer für sie vorstellbaren Rolle und Aufgabe
Auf dem Rückweg aus Sangni Laya erwischte uns leider der starke Regen und wir wurden nass bis auf die Unterwäsche.
Derzeit findet die Reisernte statt und wir lernen Reis hier wirklich zu schätzen, da wir sehen wie viel Arbeit darin steckt. Der Reis muss nach der Ernte in den Bergen zunächst getrocknet und anschließend aus der Schale gestampft werden.
Unsere Aufgabe in den Comunidades war es diesmal, da die Workshops gescheitert waren, unsere Informationen anhand Interviews mit Akteur_Innen der Kooperative sowie Akteur_Innen der Comunidades zu erhalten. Leider war unsere Wanderung durch die Comunidades erfolglos, da alle infrage kommenden Personen entweder in Puerto waren oder in den Bergen arbeiteten. Abends führten wir aber immerhin ein Interview mit unserem Gastvater Mateo, welches wirklich sehr aufschlussreich und informativ war. Eine wichtige Information die wir erhielten war es, dass am kommenden Montag den 23.9 eine Gruppe von bis zu 300 Personen bewaffnet gegen die Colonos in die Berge ziehen möchte. Unter ihnen viele Ex-Kämpfer der Kontrarevolution in den 1970er und 1980er Jahren. Wir sind gespannt was wir kommende Woche davon hören und hoffe, dass es nicht zur Eskalation des zivilen Konfliktes kommt.
Den Donnerstag trafen wir dann zufällig einige Personen, mit denen wir dann informelle Gespräche führten, hier ein paar Bilder von der Feldforschung.
In Sangni Laya lud uns der Pfarrer in sein Haus ein, mit dem wir lange über die Comunidades und Nicaragua im allgmeinen sprachen. Umgeben wurden wir von vielen neugierigen Kindern und in der sich daneben (provisorischen) befindenden Kirche, in der eine moravische Konferenz über 4 Tage vorbereitet wurde.
























